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Dr. Miriam Szwast

Zum Werk

Anna Borgman  arbeitet räumlich. Sie hat Bildhauerei sowie Architektur gelernt und lässt diese in einen sperrigen Dialog treten. Um raumgreifende Konstruktionen geht es, um Modelle und Module, um Form, Farbe und Orte. Ihre Arbeiten sind ephemer; unmöglich, sie von Museumsraum zu Museumsraum zu bewegen, ohne dass ihr Wesen auf dem Weg abhanden käme. Borgman baut für einen Ort, für einen Raum und löst die Werke auf, wenn sie weiterziehen. Ihre Arbeiten brauchen die Umgebung, in der und für die sie geschaffen wurden.

Die hier versammelten Fotografien erzählen von jenen Stunden, Tagen oder Wochen, in denen ausgesuchte Orte durch Addierung eines oder mehrerer Objekte um eine Sinnschicht erweitert werden. Da passt es auch, dass seit der so genannten „raumkritischen Wende“
der Raum wieder als kulturelle Größe von den Geisteswissenschaften wahrgenommen und erforscht wird. Wie so oft gerade in den letzten Jahren, fällt auf, dass Wissenschaft und Kunst viel häufiger nach einander greifen, als das kurzsichtige Auge zu sehen gewohnt
ist. Und gerade deshalb sind die plastischen Arbeiten von Borgman so sinnig. Denn als Bildhauerin ist ihr Raumempfinden kein ausschließlich intuitives. Sie durchmessen den Ort, wissen, dass Raum nicht nur ein leeres Behältnis ist, sondern als Negativform des Behältnisses denkbar, dass Raum sich aus Verhältnissen der Dinge zueinander erfahren lässt. Borgman baut sinnlich und intellektuell erfahrbare Objekte und gibt dem oft verlassenen, leeren, stillen Ort ein neues Gepräge.

 

 

Dr. Peter Funken

Raum und Skulptur im Werk Anna Borgman

In der Geschichte der europäischen Kultur gab es immer wieder den Dialog und die Verbindung von Bildender Kunst und Architektur – sei es, dass die Kunst als Gemälde oder Skulptur eine Dekoration oder ein bildnerisches Programm im architektonischen Bau darstellte, sei es, dass die reine Form der Architektur selber zur plastischen Kunst wurde, so etwa im konstruktiven Denken und Planen am Bauhaus und seit den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts.

Kunst, zumal plastische Kunst, steht seitdem in einem besonderen Verhältnis und Kontakt zur Architektur: sie vermag ihn zu kommentieren und zu interpretieren, sie verändert Architektur im Sinne der künstlerischen Inszenierung, sie steigert den Raum in seiner Wirkung, sie macht Architektur erst erfahrbar. Kunst findet also stets in einer Relation zum Innen- oder Außenraum statt, sie lässt sich je nach Möglichkeit und Intention des Künstlers auf ihn ein, sie reagiert auf ihn und erlangt im und mit dem Raum ihre Bedeutung und Aussagekraft.

In aller Kürze ist dies der Hintergrund vor dem man die Arbeiten Anna Borgmans wahrnehmen und begreifen sollte, denn die Künstlerin stellt ihre dreidimensionalen Werke immer in eine konkrete Beziehung zur Raumsituation von Orten, Gebäuden, Städten und Landschaften. Dabei geht die Künstlerin in eine Kooperation mit dem jeweiligen Umfeld – ebenso könnte man auch von einem positiv-parasitären Verhältnis zwischen den von Anna Borgman gewählten Orten und Räumen und ihren Skulpturen sprechen. Ihre Arbeiten finden immer zu den Bedingungen des Raumes statt, werden durch ihn inspiriert oder konnotiert, greifen aber auch in ihn ein, beeinflussen und verändern ihn: so etwa, wenn Borgman ein ruiniertes Haus in Berlin Weißensee an drei Stellen des Gebäudes von Innen und Außen mit roten Skulpturformen durchdringt. An keiner Stelle kann man den künstlerischen Eingriff in seiner Ganzheit erleben. Man muss das Haus von Innen begehen und von Außen umschreiten, man muss sich bewegen, damit man die Gesamtheit der installativen Eingriffe übersehen und verstehen kann. Den Betrachtern wird also eine aktive Rolle abverlangt und somit eine Partizipation am Kunstwerk zugesprochen, die sodann eine neue und eigene, bislang unbekannte Perspektive auf Architektur und Kunstwerk ermöglicht. Borgman verändert damit den Raum der Architektur zu einem Kunstraum, der sich mit dem gegebenen Umfeld verbindet. In Farbe und Form setzen sich die von ihr verwendeten Skulptur-Implantate deutlich von dem ruinierten Gehäuse ab und entwickeln eine starke, signalartige Gegenposition. Sie sind Fremdkörper zur schäbigen Architektur, in ihrer vollendeten Geometrie bilden sie einen bedeutungsvollen Kontrast und zeigen eine geradezu ideale Schönheit.

Umbauter Raum und sein Umfeld, so Rudolf Arnheim, sind Bereiche der erweiterten Gegenwart des Menschen. In diesem Sinne interagiert Anna Borgmans Arbeitsweise als künstlerische Kommentierung, die die Umgebung nicht nur theoretisch befragt, sondern ihr ein plastisch konkretes Modell gegenüberstellt: Borgmans Modell oder Arbeitsform beschreibt dabei ihre Vorstellungen vom Menschenmaß und vom Raum des Menschen. Ihre Arbeiten funktionieren wie Eingriffe, die von den Verhältnissen zwischen vorgegebener Architektur und räumlichem Erleben handeln. So zum Beispiel, wenn Borgman in der gleichsam im Raum schwebenden Zwischenetage der Berliner Galerie VLASAKcontemporary eine massiv erscheinende Skulptur an der Decke nach unten hängend installiert. Tatsächlich reagiert die Künstlerin mit ihrer herabhängenden grünen Berglandschaft auf den fast bedrohlichen Baustil der umgebenden Gebäude und konfrontierte den Galerieinnenraum mit einem abstrakt anmutenden Naturbild. Mit dieser Arbeit wirft die Künstlerin Fragen nach dem Verhältnis von Natur und Kultur auf, wie auch nach den Grenzen zwischen beiden Bereichen.

Letzteres ist ebenfalls Thema ihrer Arbeiten im Natur- und Industrieraum: Im Wald bei dem thüringischen Dorf Kleinbreitenbach schuf sie mit „5 Betondeckel kreuzen zwei Wege“ eine Installation, die aus gelbgrün bemalten, kreisförmigen Klärgrubendeckeln besteht. Es sind serielle Industrieprodukte, die so platziert wurden, dass sie den Wanderweg im Wald zweimal schneiden. Thema dieser Arbeit ist die Reflektion über den Naturraum und die Bewegung, die in diesem Raum stattfindet. Die Arbeit funktioniert ähnlich wie die Inszenierung eines déjà vu, denn die Wanderer begegnen beim Gehen nicht nur den identischen Objekten, sondern bei deren Wahrnehmung immer wieder sich selbst.
Bei einem Bildhauersymposium in Aabenraa an der Ostsee in Süddänemark errichtete Anna Borgman am Strand eine 4 Meter hohe Skulptur aus Fundholz und Brettern, die eine im Stadtzentrum stehende Häusersilhouette zeigt.
Diese türkisgrüne Arbeit steht in deutlichem Kontrast zu den Farben des gelbbraunen Strandes und verweist doch auf das Wasser und die See. Aufgrund ihrer Konstruktion, die nur aus tragenden Elementen besteht, entwickelt sich zwischen dieser Skulptur und den Industriekränen auf der gegenüberliegenden Seite der Förde eine Art von Kontakt, Dialog und Verhältnis, das auf konstruktiver Ähnlichkeit beruht, aber auch auf klar herausgearbeiteten Unterschieden.

Gerade weil sich Anna Borgman mit ihren Installationen so deutlich auf vorhandene Räume und Architekturen bezieht, entstehen mit ihren Arbeiten ästhetische Vorstellungen und Begriffe, die den Mensch zum Mittelpunkt machen, die ihn geistig einbeziehen, ihm einen Ort geben und ihm eine neue Wahrnehmung seiner Umgebung ermöglichen. Anna Borgmans Kunst ist konkret und sinnlich und dabei von einer Moral inspiriert, die als Voraussetzung für eine Kunst der Zukunft zu betrachten und zu verlangen ist.